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Lisbeth Zwerger

Reinhold Zwerger, der Künstler

 

"Gärtner, Grafiker, Designer, Werbeleiter und Maler." Im Laufe der Zeit habe er viele verschiedene Berufe ausgeübt, sagte Reinhold Zwerger 2007 in einem Interview mit A.Korab (design austria). All diesen Tätigkeiten habe er sich mit der gleichen Konzentration und Leidenschaft, oft auch gleichzeitig, gewidmet. So ergab sich ein kreativer Kosmos, dessen Elemente sich gegenseitig inspirierten und befruchteten.

 

Atelier unter freiem Himmel

Seit den späten fünfziger Jahren malte Reinhold Zwerger Landschaften - direkt vor der Natur. Reisen unternahm er nie ohne seine blaue Stoffmappe. Sie enthielt mit Kreide grundierte Malkartons. Gouache-Farben, Pinsel, Messer, Trinkwasser und andere praktische Utensilien befanden sich in seinem Rucksack. Süditalien und Sizilien bereiste Reinhold Zwerger bereits seit 1951. Die kargen südlichen Landschaften liebte er; die starken Farben, das Licht. Eine besondere Faszination übte das Meer auf ihn aus. Strömungen, Wasserstrudel, Wellenbewegungen, Spiegelungen malte er in unzähligen Variationen. In österreich schätzte er vor allem die weichen burgenländischen Landschaften, die kahlen Wälder, Hecken und Weingärten im Winter.

 

Ungewöhnliche Malweise

In den sechziger Jahren fertigte Reinhold Zwerger seine Gouachen zum Teil in einer speziellen Schabtechnik an: mehrere Farbschichten wurden großflächig übereinander auf einem mit Kreide grundierten Malkarton aufgetragen und nach Bedarf mit einem Messer freigeschabt. Durch die Behandlung der Bildoberfläche mit dem Schabmesser entstanden kleine Strukturen, Flächen und Muster. Diese Strukturen wurden zur Grundlage für seine unverwechselbare künstlerische Handschrift: auch nachdem er in den siebziger Jahren die Schabtechnik verwarf und nur noch malte, blieb er bei einer ähnlichen grafischen übersetzung der von ihm portraitierten Natur. Rhythmische Linien, bewegt, jedoch präzis gesetzt, ergeben für den Betrachter – tritt er einen Schritt vom Bild zurück – Wasserstrudel oder Astwerk. Gleichzeitig zeichnen sich die – oft starkfarbigen - Gouachen durch großzügige, flächige Bildkompositionen aus, die durch den Verlauf von Grau- und Blautönen Tiefe bekommen.

 

Dramatische Schwarzweiß-Kontraste

Während in seinen Landschaftsdarstellungen die Farbe die wichtigste Rolle spielt, beschränkte sich Reinhold Zwerger bei fast allen seiner Häuser- und Städtebildern auf hartes Schwarzweiß. Diese Bilder wurden in einer klassischen Schabtechnik angefertigt. Dabei werden Schabkartons mit Kreide grundiert und mit schwarzer Druckerfarbe überzogen. Mit einem Messer lässt sich die schwarze Deckschicht wegschaben, wodurch weiße Linien, Flächen und Strukturen sichtbar werden. Jeder "Strich" muss sitzen. Korrektur ist praktisch nicht möglich. Durch das Freilegen der weißen Flächen und Linien entsteht ein ungemein dramatischer Effekt. Die Gebäude wirken wie von starkem Licht angestrahlt. Man hat den Eindruck, es handle sich um nächtliche Szenen. Die ersten Schabblätter in Schwarz-Weiß entstanden schon in den späten fünfziger Jahren. In den siebziger Jahren begann Reinhold Zwerger damit, auf seinen Athos–Reisen auch die Klöster in dieser Technik zu "portraitieren".

 

Immer auf der Suche

In gewisser Weise darf man Reinhold Zwerger als manisch kreativ bezeichnen. Die gestalterische Arbeit in seinen Brotberufen – erst als Grafiker, dann als Chefdesigner von EUMIG – genügte ihm nicht. In manchen Sommern malte er täglich ein Bild, aber als leidenschaftlicher Handwerker fertigte er auch ganz anderes an: Er schuf Handpuppen für die beiden Töchter, baute Mobiles für Freunde oder bemalte Ostereier.

 

Schwarz-Weiß Linolschnitte

Mitte der siebziger Jahre gab es für den Maler Reinhold Zwerger die entscheidende Wende: Er begann sich mit dem Linolschnitt zu befassen. 1860 entwickelte der englische Chemiker Frederick Walton ein neues Material: Linoleum. Es wurde zur Herstellung von elastischen Bodenbelägen verwendet. Ende des 19. Jahrhunderts kam man auf die Idee, diesen Werkstoff auch für ein Hochdruckverfahren, den Linolschnitt, einzusetzen. Im Unterschied zum Holzschnitt entsteht beim Drucken mit Linolplatten kein Abdruck einer Maserung. Künstler wie Gabriele Münter, Pablo Picasso, Henri Matisse haben sich mit dieser Technik auseinandergesetzt. Erste Erfahrungen mit einem Hochdruckverfahren hatte Reinhold Zwerger in der Grafischen Lehr- und Versuchsanstalt mit dem Holzstich gemacht. Später, in den fünfziger Jahren, gestaltete er in dieser Technik Exlibris und Glückwunschkarten. Das Linoldruck-Verfahren entdeckte er für sich in den sechziger Jahren und verwendete es zunächst zum Bedrucken von Seidenstoffen. Motive waren hier oft kahle Bäume oder dekorative Muster. In den siebziger Jahren begann er, die schwarzweißen Athos-Schabblätter in Linolplatten zu schneiden und auf Japanpapier zu drucken. Die Schabtechnik und das Schneiden in Linolplatten sind durchaus ähnliche Verfahren: Bei beiden werden Messer benutzt, bei beiden ergeben sich starke Schwarz-Weiß- Kontraste, und bei beiden braucht der Künstler eine sichere Hand und eine klare Vorstellungsgabe: eine einzige falschgesetzte Linie zerstört das gesamte Kunstwerk.

 

Farblinolschnitte

Mitte der siebziger Jahre gab es für den Maler Reinhold Zwerger die entscheidende Wende: Er begann sich mit dem Linolschnitt zu befassen. Für die Farblinolschnitte, die alle zwischen 1977 und 2000 entstanden, verwendete Reinhold Zwerger als Vorlage großteils seine Gouache-Bilder aus den sechziger und siebziger Jahren. Reinhold Zwerger hatte den Ehrgeiz, den Originalbildern mit seinen Drucken so nahe wie möglich zu kommen,

Original Gouache-Schabblatt, Kalabrien, 1969

10-Farben-Linolschnitt, 1999

was ihm auf verblüffende Weise gelang.Die Herstellung eines Farblinolschnittes beginnt als gedankliche Arbeit. Man überlegt, wie viele Farben gebraucht werden, welche Farbtöne zu verwenden sind und in welcher Reihenfolge sie gedruckt werden müssen. Im Grunde ist diese Planung der entscheidende Teil der Arbeit. Um die Platten anzufertigen und zu drucken, bedarf es großen handwerklichen Geschicks und äußerster Präzision. Reinhold Zwergers Spezialität war das "passgenaue Drucken" mit mehreren, verschieden eingefärbten Platten. Meist wurden für ein einziges Blatt zwischen 10 und 25 Druckplatten übereinander gedruckt. In einem Fall waren es sogar 38. Die Arbeit an einem Druck nahm etwa zwei Monate in Anspruch. Reinhold Zwerger schnitt und druckte in seinem Atelier im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Mit Wäscheklammern wurden die Blätter – meist in Auflagen von 30 Stück – zum Trocknen aufgehängt.

 

 

Besonders die Athos-Drucke erfuhren große öffentliche Anerkennung. Sie wurden zuletzt in einer Gemeinschaftsausstellung mit dem Titel "österreichische Künstler und der Berg Athos" im Sommer 2010 im Stift Klosterneuburg gezeigt. Bis zum Jahr 2000 beschäftigte sich Reinhold Zwerger mit dem Linolschneiden und -drucken. Danach, bis zu seinem Tod im Jahr 2009, widmete er sich dem Schreiben. "Wege am Athos" heißt sein 2005 erschienenes Buch.

 

Zum Text von Angelica Bäumer

 

 

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